Irmela von Hoyningen-Huenes Bilder sind auch Reden. Die Ausstellung eines Teils ihrer Werke im Landratsamt Tübingen 2011 legte diese Sichtweise offen. Damals gliederten wir die Hängung nach sachthematischen Zusammenhängen und stellten diese Zusammenhänge durch entsprechende „Kapitelüberschriften“ dar. Die rhetorische Werkbetrachtung erkennt durchaus an, dass sich die Künstlerin virtuos jener künstlerischen Techniken bediente, die sich mit Strichen und damit mit den Kontrasten von Papierfarbe (Hintergrund) zu Stiftfarbe herstellen lassen. Die künstlerische Entwicklung Irmela von Hoyningen-Huenes wird im vorlie - genden Band ausführlich von Dieter Göltenboth gewürdigt. Es ging ihr jedoch wohl nie oder vielleicht nur in ihrer ersten künstlerischen Phase um die künstlerischen Mittel an sich. Ihre zeichnerischen Mittel setzte sie vielmehr bald ein, um Aussagen zu machen, nichtsprachliche Botschaften zu übermitteln.
Meisterin des Aphorismus
Welche Art von Botschaften im Kern des Werkes der Irmela von Hoyningen-Huene steht, machte die Künstlerin selbst durch viele eindeutige Bildunterschriften deutlich. Diese notierte sie handschriftlich teilweise auf der Vorderseite unter den von ihr selbst streng definierten Bildbegrenzungen, zum andern Teil auf den Rückseiten vieler Zeichnungen. Sie schrieb die Titel verhältnismäßig groß und meist in Schreibschrift. Bei den Titeln sind reine Substantivierungen die Ausnahme, es handelt sich vielmehr in der Regel um knappe Gedankensplitter, deren einfache syntaktische Struktur lakonisch wirkt: „Vieles bleibt Rätsel!“, „Die Gesetze werden erfüllt!“ oder „Aus dem Weltall kommt Klang“. Die Sätze sind teilweise elliptisch verkürzt. Sie wirken so, als bliebe vieles ungesagt. In diesen Sentenzen entpuppt sich Irmela von Hoyningen-Huene ganz nebenbei als Meisterin des Aphorismus. Ihre literarische Kunstform enthält den impliziten Auftrag an den Leser zum Weiterdenken. Der anformulierte Gedanke ist meist persönlich, weist auf eine Erkenntnis oder ein Werturteil hin.
Die moralische Dimension, auf die manche Bildunterschrift verweist, ist der Künstlerin uneingeschränkt zuzugestehen. Angesichts des Alters von 53 Jahren, in dem Irmela von Hoyningen-Huene zu malen begann, und der anschließenden 46 Jahre, in denen sie ihre Bilder schuf, billigt man ihr allemal auch moralische Werte und Erkenntnisse zu. Die Zeichnungen wirken insofern authentisch und werthaltig. Derartige Botschaften hätten andere Kulturschaffende auch vermitteln können, indem sie beispielsweise Reden hielten oder Texte formulierten. Manche hätten sie auch musikalisch komponieren können. Diese Ausdrucksmittel standen von Huene jedoch, wie die Tochter erzählt, nicht ausreichend zur Verfügung. Sie sprach meist nur kurze Sätze, brachte sich selten in Diskussionen ein. Stattdessen entschied sich Irmela von Hoyningen-Huene für Aussagen in Form von Zeichnungen mit Bildunterschriften. Sie nutzte die Zeichnungen, sobald sie diese für sich ausentwickelt hatte, um ihre Aussagen zu treffen. Denn wie die Bildunterschriften sind auch diese Träger von Aussagen – und zwar zu den in den Bildunterschriften angerissenen Themen. Dazu gleich mehr.
An wen zeichnete sie?
Zunächst möchte ich noch der Frage nachgehen, an wen Irmela von Hoyningen-Huene ihre Botschaften richtete. Wer sind eigentlich ihre Rezipienten? Man muss sicherlich unterscheiden zwischen all denjenigen, die zwischenzeitlich Gefallen an den Zeichnungen gefunden haben, und denjenigen, für die die Künstlerin eigentlich gezeichnet hat. Ich denke, zunächst einmal malte Irmela von Hoyningen-Huene an sich selbst und an ihre Familienangehörigen. Gegenstand der Zeichnungen sind Ereignisse und Erlebnisse, die sie bewegten und die sie oft mit dem Sohn und den beiden Töchtern und deren Familien, besonders ihrem Enkelsohn, gemeinsam erlebt oder nacherlebt hat. Als die Tochter Irmela beispielsweise 1964 den Rompreis bekam und zur Preisverleihung in die Ewige Stadt fuhr, blieb die Mutter wie üblich in Tübingen. Sie reiste nie, hörte aber an sogenannten Erzähltagen, was die Tochter darüber berichtete. Aus dem Hörerlebnis dieser Erzählung entstand das Bild „Im Zug nach Rom“. Was von Huene festgehalten hat, sind Ereignisse und Erlebnisse samt den emotionalen Bewegungen, die diese zum Zeitpunkt des Erlebens und im Nacherinnern bei ihr auslösten. Ich sehe die Künstlerin hier in einer gutbürgerlichen Tradition, denn ein Stück weit haben ihre Zeichnungen Ähnlichkeit mit Stammbuchblättern. Diese gehörten beispielsweise im 19. Jahrhundert zur bürgerlichen Jugend, es handelte sich um Einzelblätter für eigene Erinnerungsmappen oder für diejenigen enger Freun de. Ganze Generationen junger gebildeter Männer und Frauen zeichneten, beschrieben, schickten und sammelten Stammbuchblätter, die teilweise den Charakter individueller Tagebuchaufzeichnungen auf weisen, teilweise den sozialen Charakter der Vergewisserung gemeinsamer – oft emotionaler – Geisteserlebnisse. Diese Stammbuchblätter hatten interessanterweise häufig ein vordefiniertes Standardformat, das sich nach der Größe des jeweiligen Sammelkartons richtete. Irmela von Hoyningen-Huene bevorzugte ihrerseits ein standardisiertes Format von 16,5 mal 24 Zentimetern.
Aneignung der Ausdrucksmittel
Die Zeichner und Beschreiber historischer Stammbuchblätter bedienten sich des Kanons von Ausdrucksmitteln, der zu ihrer Zeit, etwa im 19. Jahrhundert, zur Verfügung stand. In Stammbüchern finden sich häufig (kolorierte) Zeichnungen, tagebuchartige Einträge, Gedichte und Gedanken, mitunter auch Noten, um Lieder und Gesänge zu hinterlegen. Stammbücher waren insofern ein Leitmedium einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Kulturkreises. Irmela von Hoyningen-Huene entschied sich für andere Ausdrucksmittel. Vielleicht gelangte sie durch Seh- und Hörerlebnisse in Kinos der 1920er und 1930er Jahre, auf die ich noch zu sprechen komme, zu diesen Mitteln. Vielleicht nahm sie auch Buchtitel in den Schaufenstern bei Osiander in Tübingen wahr.
Von Huene scheint ihre Ausdrucksformen in der Anfangszeit sehr im Verborgenen und für sich ausprobiert zu haben. Deshalb erscheint ihr Werk auch sehr autonom, wenn auch künstlerischen Zeitströmungen durchaus verhaftet. Diese Zeit des Ausprobierens lässt sich mit der künstlerischen Frühphase gleichsetzen. Aus dieser sind noch keine Bildunterschriften überliefert. Vermutlich gab es auch noch keine eindeutige Beziehung zwischen Ausdrucksmittel und Botschaft. Insofern wäre hierbei von einer Phase des Übergangs, des Experiments und der künstlerischen Aneignung auszugehen, die sich grundsätzlich von den späteren unterschied, in denen sich die Künstlerin ihrer Ausdrucksmittel sicher war und in denen sie diese instrumentalisierte. Es ist auch eine Phase der Befreiung. „Musik sprengt die Fesseln“ verweist eben auch auf die entfesselte Kreativität einer Frau, die zuvor in enge familiäre und soziale Strukturen eingebunden war. Martin Schmid hat darüber geschrieben. Offenbar eignete sie sich die modernen, auf Strich, Form und Fläche reduzierten Ausdrucksmittel so weit an, dass sie sich selbst damit passend ausdrücken konnte. Jedenfalls nutzte sie diese Mittel dazu, um ihre Erinnerungserlebnisse, beispielsweise gehabten Kulturgenuss, insbesondere Musikgenuss, festzuhalten. Selbst wenn im pietistisch geprägten Milieu der Familie von Huene ein Bekenntnis zum „Genuss“ schwer fallen mochte, erscheint mir dieser Begriff für das, was auch Irmela von Hoyningen-Huene etwa bei Konzerten an Bewusstseinsbildung, Erkenntnis und Gedanken gewann, doch sehr angebracht. Die Zeichnung wurde zum Ausdrucksmittel ihrer Wahl, für ihr Erinnerungsstammbuch.
Dynamik von Botschaft und Bild
In der Einheit von Zeichnung und Bildunterschrift hielt Irmela von Hoyningen-Huene Botschaften fest. Eine der Botschaften beim Bild „Die 3 Tenöre“ (Abb. 789) ist jene von drei Kraftzentren, welche die Bühne beherrschen. Im Bild „Im Zug nach Rom“ (Abb. 782) von 1995 schwingt in der Bilddiagonalen durchaus die Assoziation waggonartiger Aufsätze auf Schienen mit. Meist erschließen sich dem Betrachter die Aussagen der Künstlerin problemlos, sie konnte sich mit ihren Ausdrucksmitteln verständlich machen. Ihre Kommunikation ist dabei einseitig, sie lässt sich mit einem vor allem ausdrucksbezogenen Modell darstellen. Wer Titel wie „Die 3 Tenöre“ liest und das Bild betrachtet, erkennt dessen Thema. Der Zeichenvorrat von Huenes scheint bei den Rezipienten Anklang zu finden und damit allgemein Menschlichem zu entsprechen. Und ihre Zeichnungen befriedigen auch in der Gesamtkomposition das allgemein menschliche Grundbedürfnis nach Lebendigem.
So unterschiedlich die Botschaften von Huenes im Einzelnen auch sein mögen, sie haben doch alle eine eigenartige Dynamik. Die unglaubliche Lebendigkeit und Dynamik begeistern. Sie hängen meiner Ansicht nach unmittelbar mit dem Aussagencharakter des Werkes zusammen. Es geht stets um Reden, Erzählungen oder Aufführungen, die die Künstlerin wiedergibt. Und jede dieser Gattungen hat ein Vorher und Nachher, Prämissen und Schlüsse, einen zeitlichen Verlauf, eine Dramaturgie. In der Umsetzung bedient sich von Hoyningen-Huene der Reihung und Variierung von sich häufig in der Grundform wiederholenden Elementen. Martin Schmid hat ihre Arrangements mit Bühnenbildern verglichen. Sie sind jedoch nicht statisch, für einen Auftritt, sondern ineinander geschachtelt oder nebeneinander gereihte Abfolgen von miteinander kunstvoll verwobenen Bühnenbildern, die gleichzeitig die Dramaturgie einer Gesamtheit wiedergeben. Es geht um Erlebnisse und Erkenntnisprozesse, vielleicht auch um einen einheitlichen, jedoch vielgestaltigen Erkenntnisprozess, nicht aber um statische „facts“.
Rede, Musik, Visualisierung
Ich erkenne in den Bildern der Irmela von Hoyningen-Huene sehr deutlich Kraftlinien und Prozesse, die andauern und Verweischarakter haben. Insofern sind sie Repräsentanzen der zugehörigen Aphorismen und der zugrunde liegenden Aussagen. Mit den Aphorismen teilen sie die Kompaktheit des Ausdrucks, was etwa ein Vergleich mit dem filmbildnerischen Werk von Oskar Fischinger (1900–1967) zeigt. Der deutschamerikanische Pionier des abstrakten Films der 1920er Jahre hat sich schon früh, wie Ingo Petzke 1988 darstellte, Gedanken über die Verbindung von Musik und visuellen Effekten gemacht. Als der Tonfilm noch in den Kinderschuhen steckte, schuf Fischinger grafisch gezeichnete und gestaltete Filmrollen, die er streng synchron zu Schallplatten abspielte. Elemente dieser grafischen Filmrollen zeigen rhythmische Abfolgen und Farbelemente, die an die Art der Rhythmisierung in Irmela von Hoyningen-Huenes Werk erinnern. Allerdings ist bei ihr das, was Fischinger auf einen zig Meter langen Film an Dramaturgie bannte, nur 24 Zentimeter lang und damit zwangsläufig wesentlich komprimierter. Es erschließt sich auch nicht nur aus der Länge und der linearen Wahrnehmung, sondern aus einer Vielzahl von Richtungen. In ihrer oft elliptischen Verkürzung gleichen die Bilder den aphorismenhaften Bildunterschriften und haben ihrerseits Verweischarakter.
Themenfindung
Die Ereignisse, auf die Irmela von Hoyningen-Huene in ihrem Werk reflektiert, lassen sich einem Kanon gutbürgerlicher und pietistischer Kulturtradition zuordnen. Rhetorisch würde man von Gelegenheitsreden sprechen, die anlassbezogen entstanden. Die Gelegenheiten ergaben sich aus dem Leben und dem „Medienkonsum“ der Künstlerin. Mit diesem Begriff, der heutzutage gerne auf die sich immer wieder „erneuernden“ elektronischen Medien verkürzt wird, möchte ich bewusst auf die Zeitgebundenheit jedes künstlerischen Schaffens hinweisen. Die Distanz im Hause von Huene zu elektronischen Medien drückte sich beispielsweise darin aus, dass den – freilich vorhandenen – Fernsehapparat tagsüber eine Decke verbarg. Ich meine mit dem Begriff generell die jeweils zeitüblichen Ausdrucksmittel für kulturelles Wissen und umfasse damit ganz bewusst sowohl zeitgemäße elektronische Medien als auch die über längere Zeit und teilweise noch immer in bildungsnahen bürgerlichen Haushalten geschätzten Bücher, Tages- und Wochenzeitungen, Theateraufführungen, Konzerte oder beispielsweise auch Stammbücher.
Gliedert man die Bildtitel der Irmela von Hoyningen-Huene thematisch, so zeichnen sich in einer Abfolge von Schaffensperioden Themenschwerpunkte ab. So begegnet schon früh und bis ins hohe Alter hinein die Musik als ständig präsentes und immer wieder dominantes Thema. Tilman Osterwold hat darüber geschrieben. Es gab häufig Bilder zu gehörter Musik in der Form von Gedächtnisempfindungsprotokollen. In die Oper „Echnaton“ von Philip Glass nahm die Familie die Künstlerin 1988 mit nach Stuttgart. Es entstanden mehrere Bilder, eines davon mit dem eindeutigen Titel „Oper Echnaton“. Ähnlich begeisterte Resonanz gab von Huene dem großen Pianisten Michail Wassiljewitsch Pletnjow, etwa im Bild „Pletnev spielt Schumann“, oder langjährigen Freunden wie Dizzy Krisch und Gero Soergel. Gerade die Zeichnungen zu musikalischen Themen zeigen den Zusammenhang zwischen Botschaft und Ausdrucksmittel besonders deutlich. Irmela von Hoyningen-Huenes Bilder könnten problemlos als grafisch notierte Musik gelesen und ihrerseits musikalisch vom Blatt gespielt werden. Sodann reflektierte die Tübingerin Vorträge beim Studium Generale der Universität oder bei öffentlichen Lesungen in der Stadt. Zwar ging sie selbst äußerst selten in die Kirche, sie hing jedoch dem Ideal einer von Glauben durchzogenen multikulturellen Gesellschaft an. Typisch sind etwa ihre Bilder zu Hans Küng. Der Tübinger Theologieprofessor und Initiator des Weltethos-Projekts beeinflusste die pietistische Tübinger Familie von Huene seit seinem Auftauchen in der Universitätsstadt. Im pietistischen, kulturbewussten, universitätsbezogenen Elternhaus ging man donnerstags zum „Dies“ – gemeint ist der dies academicus. Und die Künstlerin selbst besuchte häufig Küngs Vorlesungen. Ein Bild heißt „Letzte Vorlesung von H. Küng“, ein anderes beispielsweise „Weltethos“. Bilder entstanden aber auch, wenn eine der Töchter oder der Sohn und ihre Familien die Künstlerin abholten und mit ihr sommers auf den Platz hinter der Stiftskirche gingen, wo das Schwäbische Tagblatt einen Geschichtensessel aufgestellt hatte. Von Huene wollte keine Gutenachtgeschichte auslassen und sie ließ das Thema auch in ihrem zeichnerischen Stammbuch nicht aus. So entstand das Bild „Gutenacht Geschichten Tübingen“ 2001.
Mitunter rückten aber auch Themen aus zweiter Hand, aus Büchern oder aus den Haupttiteln der Tageszeitung in den Vordergrund. So das Thema Israel, mit dem sich ja pietistische Kreise in Württemberg traditionell auseinanderzusetzen pflegen. Nachdem Irmela von Hoyningen-Huene Bücher des Dalai Lama gelesen und Hörkassetten von ihm gehört hatte, gewann sie eine besondere Nähe zu Tibet, dem Lamaismus und zum Tibetanischen Totenbuch. Als die Universität Tübingen den Dalai Lama eines Tages zu einem öffentlichen Vortrag einlud, ging die Künstlerin mit ihrem Enkel in großer Erwartung dorthin. Nach dem Festvortrag schritt der Dalai Lama langsam Richtung Saalausgang. Da ergriff Irmela von Hoyningen-Huene die Gelegenheit und reichte dem religiösen Oberhaupt der Tibeter die Hand, die er nahm und drückte. Sein Blick beeindruckte die Zeichnerin tief, was Bilder wie „Dem Dalai Lama zu Ehren, Ehrendoktor in Tübingen“ 2003 widerspiegeln. Andere Beispiele für medienpräsente Themen sind eher „bunt“ wie „Hochzeit im Königshaus Norwegen“ 2001, Tragödien wie „Der 11. September 2001“ oder solche gesellschaftspolitischer Natur wie „Diskussion über Doktorarbeit zu Guttenberg“ 2009.
Jenseitsgewendet und zunehmend persönlich wurden Irmela von Hoyningen-Huenes Bilder in den letzten fünf Jahren ihres Schaffens. In diese dem nahenden Tod zugewandten Betrachtungen sind etwa „Zeit führt zum Ziel!“ 2007 oder „Nach Tod: Diskussion ohne Probleme u. Krankheit“ von 2008 einzuordnen. Die Künstlerin ging dem Tod offenbar sehr gelassen entgegen, aufrecht gehalten durch Lebensweisheit und durch die Erwartung auf eine Fortsetzung ihres Erkenntnisprozesses, wie das Dieter Göltenboth in seinem Aufsatz sehr schön ausgedrückt hat.
Zauber der Authentizität
Am Werk der Irmela von Hoyningen-Huene begeistert mich dessen Authentizität. Zu dieser Authentizität trägt einerseits die Persönlichkeit der Künstlerin erheblich bei. Eine Hundertjährige, die Ausschnitte aus der zweiten Hälfte ihres Lebens zeichnerisch reflektiert, verfügt über Lebensweisheit und in ihrem Fall eine ausgeprägte Werteorientierung. Wenn diese inneren Werte passenden Ausdruck finden, ist rhetorisch eine ideale Angemessenheit erreicht. Das ist die eine Seite. Eine zweite Seite ist die schöpferische Eigenständigkeit der Irmela von Hoyningen-Huene. Sie wurde zwar direkt oder indirekt auch von künstlerischen Entwicklungen der 1920er oder 1930er Jahre beeinflusst, komponierte jedoch jenseits dieses Diskurses völlig eigenständig Zeichnungen mit ihren persönlichen künstlerischen Ausdrucksmitteln. Schließlich ist die dritte Seite das Werk Irmela von Hoyningen-Huenes an sich. Ihre Zeichnungen wirken, ohne dass man die Künstlerin kennen muss. Offensichtlich repräsentieren die Bilder ihrerseits die Angemessenheit von Aussage und Ausdrucksmitteln für viele Menschen in idealer Weise. Sie wirken selbst authentisch. Gleichzeitig spiegeln diese Zeichnungen eine kraftvolle Lebendigkeit eines Erkenntnisprozesses wider, der an sich einen unvergänglichen Wert darstellt.