Von brasilianischen Sauriern und Tübinger Bleistiftzeichnungen

 

 

Brasilien. 1928. Der Tübinger Paläontologe Friedrich Freiherr von Hoyningen-Huene erreicht nach mühevoller Anreise Chiniquá bei São Pedro do Sul im Herzen des Bundesstaates Rio Grande do Sul (29,7° S, 54,4° W). Ein im benachbarten Santa Maria lebender deutscher Apotheker und Bekannter von Huenes hat fossile Knochen nach Tübingen geschickt, die das Interesse des Paläontologen geweckt haben. Zusammen mit seinem Assistenten Stahlecker bereist er nun die Umgebung auf der Suche nach Fossilienlagerstätten. Die mühsamen Grabungen lohnen sich. Mit zwei nahezu intakten Sauriern kehrt von Huene nach 9 Monaten zurück nach Tübingen. Beide Fossilien bereichern bis heute die Tübinger Paläontologische Sammlung, allen voran das Prunkstück: Stahleckeria potens.

 

Im paläontologischen Museum von São Pedro do Sul ist die Stahleckeria allenthalben präsent. Die Direktorin,Tiana Cabral, macht 2006 den Tübinger Gästen des Geoökologischen Gelände-Praktikums und Rainer Radtke deutlich, dass die Stadt es begrüßen würde, wenn „ihre“ Stahleckeria nicht nur als Posterabbild des Tübinger Exemplars zugegen wäre. 2008 veranstalten die Präfektur und das Museum (Museu Paleontológico e Arqueológico Walter Ilha) aus Anlass des 80. Grabungsjahrs ein internationales Symposium zu Ehren von Huenes. Einer der bedeutendsten Besucher des Symposiums ist Claudio Einloft, zu der Zeit Professor für Wirtschaftswissenschaften an der federalen Universität Santa Maria (UFSM). Sein Großvater hat kurz nach dem Fund von Stahleckeria die Ländereien mit den Grabungsstellen erworben. Die Fazenda befindet sich bis heute in Einlofts Besitz. 4. April 2009: An von Huenes Geburtstag sind die Tübinger wieder in der Stadt. Bei einer Feierlichkeit übergibt Radtke eine 1 : 1-Replik des Stahleckeria-Schädels, die in Tübingen angefertigt wurde. Im Oktober 2011 kommt Einloft erstmalig nach Tübingen und besucht „seu saurio“, die Stahleckeria. In der Paläontologischen Sammlung wird er im Beisein zahlreicher Tübinger, die ihn aus São Pedro do Sul kennen, empfangen. Am Nachmittag des Tages darauf steht ein weiterer Höhepunkt seines Besuchs an. Radtke hat ein Zusammentreffen mit der zu dieser Zeit 98-jährigen Irmela von Hoyningen-Huene arrangiert, der letzten lebenden Tochter Friedrich von Huenes. Welch emotionale Momente. Irmela von Huene kann nicht verbergen, wie nahe es ihr geht, dass die Geschichten, die ihr der Vater vor über 80 Jahren aus Brasilien erzählt hat, jetzt so greifbar sind. Mit Folgen.

 

Irmela, die erst spät damit angefangen hat, ihre künstlerische Ader umzusetzen, macht sich daran, das Erlebte in einer Bleistiftzeichnung festzuhalten. Es entsteht „In Erinnerung der Ausgrabung meines Vaters 1928/29 in Brasilien“. Im Januar 2012 kommt Radtke von Porto Alegre nach São Pedro do Sul und überreicht der aktuellen Museumsdirektorin und dem Kulturbeauftragten diese Bleistiftzeichnung sowie eine zweite gleichen Titels. Anlässlich ihres 100. Geburtstags wird São Pedro do Sul im April 2013 einen kleinen Empfang für die Tübinger Praktikumsteilnehmer 2013 gestalten. Natürlich vor der Stahleckeria und Irmela von Hoyningen- Huenes zeichnerischen Erinnerungen.

 

Im April 2012 besucht Radtke nach seiner Rückkehr aus Brasilien Irmela von Hoyningen-Huene ein letztes Mal. Der Bericht, dass die Wege, Hütten und Unterkünfte noch heute weitgehend so vorzufinden sind, wie dies der Freiherr ab 1929 der Familie in Tübingen geschildert hat und in seinem Tagebuch beschrieb, zaubert Irmela beim Abschied ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht. Ganz nach ihrer Lebensart: fast nicht gereist, aber in der ganzen Welt gelebt.

 

 

Im Februar 2013

Pró-Mata, nahe São Francisco de Paulo, RS, und Rio Cristalino, MT, Brasilien

Dr. Rainer Radtke

Baden-Württembergisches

Brasilien-Zentrum der Universität Tübingen

 

Anreise der Tübinger von Mata nach São Pedro do Sul, 2006.

Foto R. Radtke

Claudio Einloft, Rainer Radtke und Irmela von Hoynigen-Huene
im Oktober 2011 in Tübingen. Foto: Gisele Lenz